Alljährlich ringen die schönsten, spektakulärsten und seltensten Automobile der Welt um Preise, die sie eigentlich gar nicht nötig haben. Der Concorso d’Eleganza Villa d’Este lädt ein, wählt und prämiert Sieger, und das unter den Besten der Besten. Seit 1929 übrigens schon. Das Schönste dabei: Jeder darf kommen, staunen und sogar den Rasen betreten.
Der heisere Klang eines Hochleistungsmotors lässt den Park erzittern, alle Gesichter drehen sich in die gleiche Richtung. Aufgeregte Stimmen, fröhliches Lachen, magnetisch angelockt strömen die vielen Besucher zum Ort des Geschehens. Heute am Sonntag ist Publikumstag, und die Tore sind für jedermann geöffnet. Kinder werden hochgehalten, und ein Wald von Smartphones reckt sich an ausgestreckten Armen in den Himmel. Nicht um Selfies zu schießen, sondern um ein Monster von einem Rennwagen zu fotografieren. Ein Bugatti Vision mit 16 Zylindern. Gewaltig, tief geduckt, ein Ereignis, das alle begeistert miterleben wollen.
Überall wartet Außergewöhnliches. Ein paar Schritte weiter über den Rasen schwelgt ein Bugatti 57 Atalante in gewaltigen Rundungen, pompös und lässig gleichermaßen, eine Ikone des Luxus. Ganz anders gegenüber der Fiat Moretti von 1968, filigran und klein, feuerroter, flinker Luxus für eine Welt der Massenmotorisierung. Unübersehbar der Porsche 550 von 1955, ein echter Rennwagen mit Vergangenheit. Er trägt einen mächtigen Spoiler wie einen Dachgepäckträger über den Sitzen, über einen Hebel lässt sich der Anstellwinkel verändern, das hilft auch beim Bremsen. In den Fünfzigern ein früher Blick in die Zukunft und ganz sicher anspruchsvoll zu fahren.
Ferrari darf natürlich nicht fehlen, es sind mehrere sehr besondere hier, wir sind schließlich in Italien. Il Commendatore Ferrari wusste, welcher begabte Designer seine Ideen eines perfekten Sportwagens umsetzen konnte. Er bekam sie alle. Pininfarina, Scaglietti, Boano – um nur einige zu nennen. Es war stets eine Ehre, für Ferrari zu arbeiten. Vignale schuf mit dem 250 GT ein gewaltiges Coupé mit massigem Körper und filigranem Dach, lichtdurchflutet. Kind seiner Zeit wie der BMW 503 nebenan, der allerdings zeitloser und wesentlich alltagstauglicher geriet. Und öfter gebaut wurde.
Jeder Besucher findet hier seine Helden. Manche lieben die extremen Sportwagen, andere vor allem prestigeträchtige Limousinen. Frühe Modelle wie der Rolls-Royce Phantom II baden in Chrom und Leder. Sie treten hier nicht umsonst in der Klasse Pre-War Decadence an, umrahmt vom Lancia Astura, dem späteren Preisträger, und dem Bentley 4 1/4 Litre.
Ein Wettbewerb mit langer Tradition
Seit 1929 feiert der Concorso d’Eleganza Villa d’Este das Automobil, seine technische Entwicklung, aber vor allem sein Aussehen, seine Eleganz, seine Originalität. Und seit 2000 steht diese besondere Veranstaltung unter der Schirmherrschaft der BMW Group Classic. Geschöpft wird aus dem Besten von über hundert Jahren, und da gibt es wirklich einiges. Für ein wertvolles Industrieprodukt wie das Automobil war es schließlich schon immer von Vorteil, möglichst vielen zu gefallen. Da wir uns mit ihm und in ihm zeigen, wollen wir darin auch gut aussehen. Schönheit liegt allerdings im Auge des Betrachters, schon in der Antike wurde heftig darüber gestritten. Heute erledigen das Preisrichter, die sehr kompetent, doch durchaus mal konträr ihre Punkte vergeben.
Selbst das Publikum durfte seinen Liebling küren, ein Lamborghini Miura SV gefiel einer Mehrheit. In seinem leuchtenden Grün passte er perfekt zum Park. Ja, sogar die Jugend vergab ihren Preis. Sie wählte mit dem Lancia Stratos den puren Sport, mehr Keil geht nicht. Allerdings war der einst gefürchtete Rallyegegner nicht leicht zu fahren mit seinem kurzen Radstand.
Um inmitten des überbordenden Fundus ein wenig Übersicht zu schaffen, gab man vorher Themen vor, unter denen sich danach ein trefflicher Wettbewerb entfalten konnte. Petit Performance hieß es dann oder Sur mesure et haute couture, Supercars oder Cars for the Stars. Differenzierende Preise, denn etwas anderes würde bei der großen Vielseitigkeit der Automobilhistorie auch keinen Sinn machen.
Sanfte Restaurierungen und die Suche nach der Patina
Doch etwas hat sich in den letzten Jahren ganz klar verändert: die Bedeutung der Spuren der Zeit. Patina ist mittlerweile ein heiß diskutiertes Thema in Oldtimerkreisen. Das Auto ist eng verbunden mit seiner eigenen Geschichte. Darum gab es Preise für Autos wie den Alfa Romeo Giulietta SZ, dessen von Zagato gestaltete Karosserie auch von Weitem sehr gebraucht wirkte, rechts mehr als links, denn links demonstrierte er anschaulich, was eine Restaurierung vermag, die zwar konserviert, aber die Spuren der Zeit dennoch belässt. Er errang den FIVA-Preis Best Preserved Vehicle.
Bei den Rallyeautos aus drei Jahrzehnten war Patina natürlich Pflicht. Der prämierte Ford Escort mit den dicken Backen und den Aufklebern der East African Safari Rallye schien optisch gerade eben noch Nashörnern oder Giraffen ausgewichen zu sein. Wie bei dem nebenstehenden originalen Mini Cooper der Rallye Monte Carlo wird selbst eine Wagenwäsche zum Streitfall. Schade um all den mühsam errungenen Schmutz, möchte man da rufen.
Hommage an die eigene Geschichte
Neben dem Wettbewerb gab es natürlich noch einiges andere zu entdecken. BMW präsentierte in einer eigenen Halle außergewöhnliche Studien, die sich die Meilensteine der Unternehmensgeschichte zum Vorbild nahmen, vom Sportroadster 328, der gerade sein 80-jähriges Jubiläum feiert, über den legendären 2002 bis hin zum MINI, eine veritable Hommage an die Vergangenheit. Leider durchweg Einzelstücke, die manchen sehnsüchtigen Stoßseufzer im Publikum erzeugten.
Träume auf zwei Rädern
Ganz herausragende Motorräder wurden ebenfalls gezeigt und gefeiert. Das älteste aus dem Jahr 1911, eine Magnet. Sie wird mittels Lenkrad vom Beiwagen aus gelenkt und trat an unter dem Motto „Designs that pushed the envelope“. Genau wie die zierliche Megola von 1922 mit ihrem niedrigen sesselartigen Sitz. Staunendes Kopfschütteln bei den „Flights of Motorcycle Fantasy“. Zum Beispiel vor der unglaublichen Böhmerland mit ihrem langen Radstand oder der coolen Indian. Jedes Teil für sich ein Dokument der Suche nach Fortschritt, nach Verbesserung. Wie bei den Autos gab es auch hier Preise und Auszeichnungen.
Spektakulär zeigte sich der Motorrad-Street-Run am Samstag durch Cernobbio zwischen der Villa Erba und der Villa d‘Este. Da wurde manchem Zuschauer erst klar, zu was diese Fahrzeuge einst geschaffen wurden, nämlich zum Fahren. Hier blieb kein Auge trocken.
Daneben zeigte BMW Group Classic eine ganze Palette seiner Motorräder, die ebenfalls Modellgeschichte geschrieben haben. Auf die schlanke, schlichte BMW R 100 wollte man sich am liebsten setzen und eine Runde durch den Park drehen. Ganz gemütlich, auch um mal sitzen zu dürfen, denn die einladenden Liegestühle waren heiß begehrt, und nicht jedem war eine Pause darin vergönnt. Trost spendete aber das kostenlose MINI Eis, von freundlichen Damen allen in der Mittagshitze zum Schatten strebenden Gästen in die Hand gedrückt. Ein ganzer Park wurde da zum Steckerleis verführt.
Roter Teppich für die Sieger
Am Sonntag das große Finale auf dem roten Teppich. Zuerst die Motorräder mit ihren stolzen Helden aus dem Rennsport, den raffinierten Straßenmaschinen und den mächtigen Tourenboliden. Applaus und Blitzlicht für dieses beeindruckende Zeugnis der immerwährenden Suche nach Perfektion.
Am Nachmittag dann die Autos. Früh gab es auf der Tribüne keine freien Plätze mehr, denn alle wollten hören, was der smarte Moderator über die einzelnen Fahrzeuge zu berichten wusste. Jeder Wagen wurde nun ein Star. Begleitet von zwei eleganten jungen Damen dürfte sich bei manchem Besitzer der Puls beschleunigt haben. Jetzt bloß nicht abwürgen oder den Gang krachen lassen. Wo, bitteschön, sieht man Prototypen und Designstudien fahren, als wäre es ganz normal? Hier. Und keiner musste geschoben werden. Nur beim Wegfahren ging es mancher Pilot etwas schnell an und ließ den Models auf ihren High Heels keine Chance mitzuhalten.
Das Schönste am Concorso d’Eleganza Villa d’Este ist sicher die gemeinsame Begeisterung für Autos und Motorräder und der lässige Umgang miteinander. Hier bin ich Fan, hier darf ich’s sein. Vielleicht sorgte genau dieser Spirit für ein wunderbares Wetter. Am Montag danach jedenfalls blies ein kühler Wind, und es regnete. Aber da war dieser Traum schon längst vorbei.