Wilhelm Noll? Dieser Name ist heute nur noch wenigen geläufig, doch in der Zeit seiner sportlichen Karriere war er im Motorsport in aller Munde. Wilhelm Noll hatte den eisernen Willen, etwas erreichen zu wollen, und er spürte, dass er eine besondere Begabung hatte: Er verstand es meisterlich, ein Motorradgespann zu pilotieren. Und er hatte einen guten Freund, Fritz Cron, der ihm mit geradezu akrobatischer Geschicklichkeit zur dazu notwendigen Balance verhalf.
Wilhelm Noll wurde am 15. März 1926 in Kirchhain bei Marburg geboren. Schon von Kindesbeinen an wuchs er mit Benzin im Blut auf, denn sein Vater betrieb seit 1921 eine Fahrrad- und Motorrad-Werkstatt. Gleich um die Ecke wohnte Familie Cron, deren Sohn Fritz (geboren am 31. März 1925) Wilhelm Nolls engster Freund war. Lieblingsabenteuerspielplatz der beiden – logisch - war die Noll’sche Werkstatt. Auch logisch: Wilhelm lernte natürlich schon als Schulbub das Fahren von Motorrädern und Autos. Dass er das Kfz-Handwerk erlernte, war da nur folgerichtig. Wilhelms Vater hätte es gerne gesehen, wenn sein Sohn auch in sportlicher Hinsicht in seine Fußstapfen getreten wäre, der Vater war in den 1920er-Jahren als Radrennsportler erfolgreich. Doch Wilhelm, mit Fritz Cron immer an seiner Seite, hatte motorsportliche Ambitionen. Und da lag nichts näher, als sich auf den Gespann-Rennsport zu fokussieren, schließlich war das ein echter Teamsport.
Doch in den Jahren kurz nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs an ein geeignetes Sportgerät zu kommen, erforderte erhöhte Kreativität. Die Gelegenheit bot sich in einer – nach heutiger Einschätzung – schrottreifen BMW R 66. Wilhelms Senior war entsetzt darüber, dass der Sohn seine piekfein überholte DKW 350 NZ dagegen eintauschte. Er war der Überzeugung, dass das Projekt zum Scheitern verurteilt war. Doch Wilhelm und Fritz arbeiteten mit Akribie daran, den Vater eines Besseren zu belehren. Mehr als nur moralische Unterstützung gewährte ihnen dabei die Hilfe des erfolgreichen Marburger Rennfahrers Karl Lottes. Von den Fortschritten des Restaurationsprojektes angetan, half auch ein Freund des Vaters bei der Beschaffung von Ersatzteilen, der damals sehr bekannte Sportwagenrennfahrer und BMW Vertreter Helm Glöckler, durch seine guten Beziehungen zum Werk nach München.
Das Motorrad war das eine, doch zum Gespann gehörte auch ein Beiwagen. Die Mangelwirtschaft der Nachkriegszeit machte kreative Lösungen möglich: Der Besitzer eines Seitenwagens benötigte dringend drei Kubikmeter Bauholz. Vater Noll hatte diesen Schatz in seinem Schuppen gelagert. Dass er dieses wertvolle Tauschgut freigab, zeigte, dass er die Pläne seines Sprösslings inzwischen wohlwollend goutierte und zu unterstützen bereit war. Das Gespann wurde tatsächlich fertig, und nach ausgiebigen Probefahrten sollte das Renndebüt im Mai 1948 in Köln erfolgen. Doch die Rennleitung wollte die Rookies nicht starten lassen. Karl Lottes machte seinen Einfluss geltend, und so durften die beiden, Noll am Lenker und Cron im Beiwagen, doch noch antreten. Auf Anhieb gelang ihnen der zweite Platz. Der nächste Start war gleich darauf beim Dieburger Dreiecksrennen – und die beiden gewannen!
Von da an war das Thema mit der Startberechtigung seitens der Rennleitungen definitiv erledigt. Für einen Platz auf dem Siegertreppchen waren Noll und Cron immer gut. Zu jener Zeit war das Preisgeld noch überschaubar, die Fahrer wurden oft in Naturalien ausgezahlt. So erhielt Wilhelm Noll einmal als Prämie drei Meter Stoff, um sich daraus einen Anzug schneidern zu lassen, wohlgemerkt einen Abendanzug, keinen Rennanzug! 1950 bekamen die beiden die ersehnte Lizenz, und am Ende der Saison waren sie das beste Team in der Sonderwertung der 600er-Maschinen ohne Kompressor. Ab 1951 starteten sie auf BMW in der Halbliterklasse, mit der sie auch auf dem Sachsenring siegten und weiterhin vordere Plätze belegten.
1951 trat das Team mit einer von Wilhelm Noll selbst entwickelten hydraulischen Kombibremse an, die Konkurrenz bestaunte die plötzlichen „Spätbremser“. Das – und natürlich auch das formidable Fahrkönnen von Wilhelm Noll und Fritz Cron – weckte auch die Aufmerksamkeit des BMW Werkes. Ab 1953 fuhren die beiden im Werksteam.
Monza, 12. September 1954: Beim Großen Preis von Italien passieren Wilhelm Noll und sein Beifahrer Fritz Cron mit ihrem vollverkleideten BMW Gespann als Erste die Zielflagge. Es ist für die beiden bereits der dritte Saisonsieg. Zuvor haben der Kfz-Mechaniker Noll und der Telefontechniker Cron mit dem Großen Preis von Deutschland und dem Großen Preis der Schweiz zwei WM-Läufe für sich entscheiden können.
Ihre erfolgreiche Saison wird durch zwei zweite Plätze – beim Ulster GP in Belfast und beim Großen Preis von Belgien in Spa-Francorchamps – und einen dritten Platz bei der TT auf der Isle of Man komplettiert. Damit ist das BMW Gespann nicht nur bei sämtlichen der sechs WM-Läufe des Jahres aufs Podium gefahren – Noll und Cron brechen damit auch die jahrelange Dominanz von Norton-Motorrädern in dieser Renndisziplin und holen den Weltmeistertitel erstmals nach Deutschland.
Zu Beginn der Saison sieht es danach allerdings noch überhaupt nicht aus: Der Engländer Eric Oliver, vierfacher Weltmeister und amtierender Titelverteidiger, kann mit seinem Beifahrer Les Nutt die ersten drei Rennen auf seiner verkleideten Werks-Norton für sich entscheiden. Beim Feldbergrennen, das nicht zur Weltmeisterschaft zählt, hat Oliver jedoch einen schweren Unfall, in dessen Folge er beim Deutschen GP auf der Solitude bei Stuttgart nicht an den Start gehen kann. Noll und Cron nutzen ihre Chance und erringen mit der RS den wahrscheinlich ersten BMW Sieg bei einem WM-Lauf überhaupt.
Beim Schweizer Grand Prix, dem fünften Lauf der Saison, gehen Noll und Cron wiederum als Erste durchs Ziel, Konkurrent Oliver fährt lediglich zwei Punkte ein, und vor dem letzten Rennen in Monza liegen beide Gespanne punktgleich mit 26 Zählern an der Spitze. Doch Oliver, dessen Arm wieder in Gips gelegt wird, kann auch in Monza nicht starten, sodass Wilhelm Noll und Fritz Cron nur zu punkten brauchen. Doch die beiden, die in Monza erstmals mit einem vollverkleideten Gespann an den Start gehen, wollen sich damit keineswegs begnügen. Vom Start weg führen sie das Rennen souverän an und fahren in jeder Runde über vier Sekunden Vorsprung auf das Norton-Gespann von Smith und Dibben heraus, der Showdown bleibt aus.
Die Presse ist enttäuscht, dass es nicht zum großen Duell der beiden Spitzengespanne kommt. Mit neuem Runden- und neuem Streckenrekord haben Noll und Cron aber dennoch bewiesen, dass sie würdige Weltmeister sind. Zudem hätte wohl auch Oliver gegen die dank der neuen Vollverkleidung nun deutlich schnellere Werk-RS keine Chance gehabt.
Mit dem ersten WM-Titel 1954 beginnt eine im Rennsport einmalige Serie: Bis zum Jahr 1974 werden auf BMW Gespannen nicht weniger als 19 Fahrer- und 20 Markenweltmeisterschaften errungen. Noll und Cron können ihren Titelgewinn 1956 wiederholen, nachdem sie sich 1955 mit der Vizeweltmeisterschaft begnügen mussten. Im Herbst 1956 beenden beide nach dem letzten WM-Lauf ihre aktive Motorsportkarriere. Wilhelm Noll wird Werkstattmeister im Autohaus seines Vaters, 1963 übernimmt er das Geschäft und führt das BMW Autohaus Noll bis 1990.
Dem Motorsport blieb Noll jedoch treu, und zwar als Präsident der Obersten Motorsport-Kommision (OMK). Anlässlich des 60. Jahrestags des Gewinns der Weltmeisterschaft überließ Wilhelm Noll im Jahre 2014 seinen umfangreichen Fundus an die BMW Classic, darunter viele rare und unveröffentlichte Bild-, Film- und Tondokumente, die derzeit digitalisiert und gesichtet werden. Am 4. Oktober 2015 jährt sich ein weiteres historisches Motorsportereignis zum 60. Mal: Am 4.10.1955 erreichte Wilhelm Noll mit einem speziellen Gespann auf der für Rekordversuche gesperrten Autobahn zwischen München und Ingolstadt die unfassbare Geschwindigkeit von 280,1 km/h.
Wilhelm Noll und sein Copilot Fritz Cron – zwei Motorsportler, deren Namen heute vielleicht nicht mehr in aller Munde sind, die aber damals schier Unglaubliches vollbracht und damit Motorsportgeschichte geschrieben haben.