1918. Der Krieg ist vorbei und Deutschland hat verloren. Flugmotorenbau wird bald darauf verboten und damit auch das einzige Produkt der Bayerischen Motoren Werke AG, einer jungen Firma, die gerade erst gegründet worden war. Neue Ideen müssen her, Motoren liegen natürlich nahe, denn dafür stehen Produktionsanlagen und Fachkräfte bereit. Nur welche Motoren und für was?
Alles Ende ist schwer.
Der Erste Weltkrieg hat viele neue Technologien stark beschleunigt. Wie niemals vorher geriet er auch zu einem Kampf findiger Konstrukteure um die besseren Ideen. Die Flugzeugentwicklung wäre ohne den Krieg sicher weitaus langsamer vorangeschritten, vor allem, weil keiner so viel Geld darin investiert hätte. Mit dem Ende des Krieges aber stoppten auch die Investitionen, und alles kam mehr oder weniger zum Erliegen. Die gerade gegründete BMW AG brauchte dringend ein neues Produkt, denn ihr berühmt gewordener Flugmotor durfte nicht mehr gebaut werden.
Aller Anfang ist leicht.
Motoren bauen konnte man bei BMW, daran war kein Zweifel. Ein großer Motor für Boote und Lkw war leider nur mäßig erfolgreich, die Wende kam mit einem kleinen Triebwerk, das Motorräder antreiben sollte. 1920 war es fertig, schöpfte 6,5 PS aus 500 ccm und trug die charakteristische Zylinderanordnung, die man wegen ihrer gegenläufig arbeitenden Kolben Boxermotor nannte.
Kunden fanden sich schnell. Die Nürnberger Firma Victoria baute die Motoren sehr erfolgreich in ihre Motorräder ein. Auch die Bayerischen Flugzeugwerke, ein eigenständiges Unternehmen, sattelten um, bauten aber umgekehrt nur das Motorrad, nicht den Motor. Ihr „Helios“ genanntes Modell zeigte allerdings konstruktive Mängel. Als die Marke BMW 1922 auf die Bayerischen Flugzeugwerke übertragen wurde, fürchtete man um den eigenen guten Ruf. Möglichst schnell wollte man darum eine komplette Neukonstruktion auf die Räder stellen.
Mach’s noch einmal, Max.
Max Friz hatte sein großes Können mit dem Flugmotor IIIa eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Nun sollte es also ein Motorrad werden, etwas völlig anderes. Das bedurfte der Ruhe fernab vom Bürogetöse.
Friz zog zusammen mit einem übergroßen Zeichenbrett ins Gästezimmer seines Wohnhauses um, das praktischerweise gegenüber dem Werksgelände lag. In dieser stillen Klause entwarf er noch im Dezember 1922 ein komplettes Motorrad, dessen auffälligstes Erkennungszeichen eben jener Boxermotor wurde, dessen Zylinder quer zur Fahrtrichtung liegen und an dem Generationen von Fahrern bis heute eine BMW erkennen.
Dazu wählte Friz den robusten Kardanantrieb statt einer Kette oder einem Riemen und verschraubte das Getriebe direkt am Motor. Das Ergebnis war ein bestechend harmonisches Motorrad, das sofort viel Anklang fand. Vorgestellt wurde es als „Tourenrad der Bayerischen Motoren Werke“, R 32 war die interne Bezeichnung. Die R 37, die ein Jahr später vorgestellt wurde, wurde als „Sportmodell“ vermarktet. Erst ab der R 42 wurden Modelle unter den heute geläufigen Bezeichnungen verkauft.
Starker Auftritt eines Newcomers.
Schon im Herbst 1923 präsentierte BMW sein neues Motorrad-Modell anlässlich der Automobil-Ausstellung in Berlin inmitten einer überbordenden Konkurrenz aus 132 anderen Herstellern. Die Gefahr, hier geräuschlos unterzugehen, war also sehr groß. Doch Max Friz, der geniale Konstrukteur, der zum ersten Mal in seinem Leben über ein Motorrad nachgedacht hatte, bewies erneut seine Klasse. Die Fachwelt staunte, denn hier sah sie kein motorisiertes Fahrrad mehr, sondern ein eigenständig gedachtes Produkt.
Die R 32 fiel durch ihre ungewohnte Glattflächigkeit auf, die Rahmenbauweise mit zwei Stahlrohr-Schleifen war neu. Dazu sorgte die tiefe Einbaulage des Motors für eine hervorragende Straßenlage. Die tiefschwarze Lackierung und die weißen Dekorlinien wirkten hochwertig. Nach dem Ende der inflationären Geldentwertung kostete ein BMW Motorrad 2.200 Mark. Es war damit zwar eines der teuersten Modelle am Markt, verkaufte sich aber dennoch prächtig.
Das lag neben seiner richtungsweisenden Konzeption auch an seiner Zuverlässigkeit und Materialgüte. Hier bewährte sich eben das Können eines Herstellers, dessen einst in luftiger Höhe fliegende Kunden eben nicht mal schnell mit stotterndem Motor am nächsten Wolkenrand anhalten konnten, um nach dem Fehler zu suchen. Auch die Kenntnisse über neue Leichtmetalle, die hier für die Kolben Verwendung fanden, bewährten sich bestens und setzten bis in Details Maßstäbe.
Der Erfolg nimmt seinen Lauf.
Schnell kamen aufsehenerregende Erfolge im Motorsport hinzu – damals eine besonders verkaufsfördernde Werbung. Bereits vor der eigentlichen Vorstellung in Berlin hatte Max Friz bei der „Fahrt durch Bayerns Berge“ die Zuverlässigkeit seiner Erfindung bei einer sportlichen Vergleichsfahrt unter Beweis gestellt. Rudolf Schleicher war der Ingenieur, der die R 32 zum Sportgerät weiterentwickelte.1924 wurden nicht nur die ersten Siege, sondern wurde auch der erste deutsche Meistertitel für BMW errungen.
Doch es sollte nur der Anfang einer beispiellosen Siegesserie sein, die mit der R 32 begann und BMW zu einem großen Fahrzeughersteller aufsteigen ließ.