Flashback: 1969

Kommen Sie mit mir ins Jahr 1969 und lassen Sie uns gemeinsam in ein BMW Autohaus gehen. Sie steuern zielgenau auf den BMW 2002 ti zu? Gratulation, eine gute Wahl. Seit einem Jahr auf dem Markt und bereits bewährt. In leuchtendem Orange hätten Sie ihn gerne? Dann gehen Sie mit der Zeit, dunkle Farben gelten nämlich als gefährlich, man munkelt bereits von Verboten. Warum dieser ti teurer als der andere ist? Weil er von Alpina kommt, einer kleinen Firma aus Kaufbeuren. Sie haben recht, er sieht auch nicht anders aus als der andere. Aber er ist, wie soll ich sagen, spezieller. Alpina liefert übrigens auch die Motoren für die Werkswagen. BMW gewinnt damit gerade die Deutsche Rallyemeisterschaft 1969, zum dritten Mal, aber das nur nebenbei. 1970 wird es schon wieder geschehen, doch das ist jetzt noch Zukunft. Davon wissen wir noch gar nichts.

Öffnen Sie die Tür. Ja, das sind Recaro Sportsitze, Sie müssen sie nicht nehmen, aber sie bewähren sich, denn sie geben mehr Seitenhalt, und den werden Sie brauchen. Das Rohr ist ein Überrollbügel, wie schon gesagt, es kommt darauf an, was der Kunde vorhat. Vielleicht wollen Sie nicht nur damit in die Arbeit fahren, sondern am Wochenende sogar Rallyes? Es könnte sein, Sie gewinnen sogar. Dann empfehle ich Ihnen noch vier Zusatzscheinwerfer. Und natürlich den Fahrwerkssatz mit belüfteten Bremsscheiben, Bilstein-Stoßdämpfern und Stabilisatoren. Schicke Felgen, breite Reifen, Sicherheitsgurte? Das können Sie alles hier bei mir bestellen und bekommen die volle Garantie. Früher mussten Sie das selbst hineinbasteln? Tja, nicht bei Alpina. Machen Sie einfach ein Kreuzchen.

Jetzt müssen Sie aber mal eine Probefahrt machen. Ziehen Sie den Choke, den mancher „Schock“ nennt, denn der Motor ist noch kalt. Der Blinkerhebel liegt rechts, das ist typisch BMW, man gewöhnt sich schnell daran. Die Sicht ist prächtig, die Dachpfosten dünn, Motor- und Kofferraumhaube im Blick, ein Nullzweier eben. Das Dreispeichen-Rennlenkrad ist etwas kleiner als in der Serie und liegt gut in der Hand. Herrlich, all diese alten Autos von 1969 um uns herum, oder? Und so langsam. Bis die mal an der Ampel aus dem Quark kommen. Mit dem Alpina fahren Sie Kringel um alle anderen.

Ja, der geht gut. 160 PS. Unter eine Tonne Fahrzeuggewicht. Es empfiehlt sich eine Kopfstütze, in den USA ist sie ja jetzt vorgeschrieben. Geschmiedete Kolben, andere Vergaser, größere Ölwanne. Viel Klein- und Feinarbeit, klassisches Tuning eben, mit Liebe zum Detail. Aber das nur nebenbei. Sieben Sekunden von null auf hundert. Sieben. Sie haben recht, ein Ferrari kann das auch, aber kennen Sie jemanden, der einen hat?

Ihr Schwager fährt einen Porsche 911? Beneidenswert, ein prächtiger Wagen, leider ist er damit langsamer auf hundert, eine ganze Sekunde, ja, auch mit dem „S“. Erst oben raus holt er wieder auf, die Aerodynamik, kann man nichts machen, als Coupé hat er es gegen den Wind viel leichter als Sie. Aber Sie können Ihre Kinder mitnehmen. Und Tante Trudi. Und Gepäck. In den Urlaub können Sie so fahren, das kann er nicht. Dafür bräuchte er schon einen Mercedes 300 SEL 6.3, der andere Konkurrent, der mithalten könnte. Er kostet allerdings das Doppelte, wie vielen werden Sie also begegnen? Nein, einen Dritten, der mit Ihnen mithalten kann, gibt es nicht, jedenfalls nicht aus Deutschland.

Darf ich aus Ihrem Lächeln schließen, dass Sie eine Bestellung aufgeben möchten?

Entschuldigung, dass ich Sie an dieser Stelle wecken muss, aber 1969 ist ziemlich lange her, und eine Bestellung wird nicht mehr angenommen. So aber könnte manches Verkaufsgespräch damals gelaufen sein. Was Alpina aus dem kleinen BMW zauberte, war schlicht eine Sensation.

 

Alpina – ein Tuner mit Garantie

Wenn viele den gleichen Wagen fahren, ist ein getuntes Modell reizvoll. Äußerlich nicht von den anderen zu unterscheiden, geschieht mit ihm das Unerwartete. Es zieht seinen Brüdern davon und hinterlässt staunende Gesichter. Eine schon vom Werk aus sehr souveräne Limousine wie der BMW 2002 ti hat keinen Tuner mehr nötig, könnten Sie sagen, und das stimmt. Doch warum wurden bei Alpina trotzdem viele schwach – und nicht nur Renn- und Rallyefahrer?

Das hat mehrere Gründe. Zuerst natürlich die schiere Leistung. 150 oder 160 PS bei einem Wagengewicht von kaum einer Tonne bedeuteten eine Beschleunigung, die Ende der sechziger Jahre Kinnladen herabsinken ließ. Sieben Sekunden auf hundert bei einer Spitze von 211 km/h. Mit anderen Worten, so gut wie kein anderer auf der Straße konnte mithalten. Tester sprachen vom „Kraftpaket“, von der „Bayernbombe“, dem „Zuchtpferd“.

Und dieser Sportwagen im schlichten Limousinen-Kleid war auch noch alltagstauglich, kannte keine unwillige Gasannahme bei niedrigen Drehzahlen, keine Hitzeprobleme im Stadtverkehr. Einsteigen und losfahren, es bedurfte keinerlei Einweisung. Mit dem ausgefeilten Sportfahrwerk wurde er dazu noch als ausgesprochen gutmütig und leicht zu fahren beschrieben. War er dafür hart gefedert, gar unkomfortabel? Nein, gar nicht. Liest man alte Testberichte, waren sich alle erstaunlich einig. Die deutliche Leistungssteigerung wurde nicht mit Einbußen am Gebrauchswert erkauft.

Alpina verstand es also auf faszinierende Weise, Sport und Alltag, den Familienausflug und Vaters Motorsportambitionen, in einem Wagen zu vereinen. Im Grunde kam man hier dem perfekten Automobil erstaunlich nahe. Jedenfalls für all jene, die sich aus Autos etwas machten, und das waren nicht wenige. Und Alpina mit seinem Chef Burkard Bovensiepen verstand sich obendrein noch ausgesprochen gut mit dem Hersteller seines „Grundprodukts“, was ja sonst nicht viele Tuner schafften. Alpina baute sogar die Motoren, die BMW für seine Werkteams im Tourenwagen und Rallyesport gerne und sehr erfolgreich nutzte. Die Zusammenarbeit war eng, und die BMW Niederlassungen vertrieben und warteten Alpina BMW. Für die Kunden allemal ein Argument.

Von Anfang an war der Anspruch von Alpina, bei ihren Straßenfahrzeugen Leistung mit Alltagstauglichkeit zu verbinden. Der heutige Mythos des Nullzwei wurde auch von Alpina mitgeschrieben. Kehrt man allerdings wieder in die Gegenwart zurück, lernt man die Fernwirkung dieser Faszination beim Lesen der Preisschilder für gute 2002 ti kennen. Dieser Wagen scheint alle seine alten Fans zu behalten und findet neue dazu.

Ach ja, das noch zum Schluss: Unter Herrengedeck versteht man in der Regel ein Bier und einen Schnaps, für manchen die perfekte Kombination. Sieht man im Bier nun die stets passende sportliche Limousine wie den BMW 2002, dann gibt Alpina den Schnaps dazu. Vielleicht hinkt dieser Vergleich, vielleicht sollte man gerade Autos nicht mit alkoholischen Getränken vergleichen, doch die Kombination aus zwei sehr guten Lösungen schafft mitunter Traumwagen, die lange nachwirken.

 

Technische Daten BMW 2002 ti Alpina 1969 (Serie in Klammern zum Vergleich)

Preis mit Motor, Fahrwerk und diversen Extras: ca. 22.000,– DM (ca. 12.000,– DM)

2,0 Liter Hubraum, 150 oder 160 PS (2,0 Liter, 120 PS)

Höchstgeschwindigkeit: 211 km/h (188 km/h)

Beschleunigung:

0 – 80 km/h: 4,9 Sekunden (6,5 Sekunden)

0 – 100 km/h: 7 Sekunden (9,2 Sekunden)

Verbrauch: 14,1 l/100 km (13,6 l) Super

Gewicht fahrfertig: 1.025 kg (1.020 kg)

Bereifung: 165 HR 13 (165 HR 13)

All diese Angaben sind einem Testbericht der motor Rundschau, Heft 25/1969 entnommen.